Aus dem Tätigkeitsbericht 2003 der neun staatlichen Schulberatungsstellen Bayerns:

 

Susanne Gutzeit, Bruno-Ludwig Hemmert, Klaus Kessler, Bernhard Meißner

Konzepte zur Hochbegabtenförderung

 

Hochbegabung: Neubewertung eines wichtigen Beratungsbereichs

Eine wesentliche Aufgabe des gegliederten bayerischen Schulwesens ist es, Kindern und Jugendlichen eine ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Bildung zu vermitteln.  Schulberatung hat im differenzierten und begabungsgerecht ausgerichteten Bildungswesen in Bayern eine zentrale Steuerungsfunktion, indem sie Kindern und Jugendlichen hilft, die für sie adäquate Bildungslaufbahn zu finden.

In diesem Kontext ist die Förderung hoch begabter Kinder aus einer Reihe von Gründen in den letzten Jahren aktuell geworden. Entscheidend dazu beigetragen hat der Beratungsbedarf von Eltern, deren Kinder nach Intelligenztests als besonders intelligent eingestuft wurden, die aber in der Regelschule mehr oder weniger deutlich versagen. Der Druck verschiedener Elterninitiativen war es v. a., der die Problematik ins öffentliche Bewusstsein rückte.

Es wurde klar, dass die Notwendigkeit der Förderung an beiden Rändern der Begabungsskala besteht, d. h. Förderung nicht nur für Schüler und Schülerinnen, die verschiedene Arten von Behinderungen und Benachteiligungen aufweisen, sondern auch für besonders Befähigte und Begabte.

Geänderte Einstellung zum Elitebegriff

In der öffentlichen Diskussion spielte dabei eine wesentliche Rolle, dass der Begriff „Elite“, der lange Zeit gesellschaftspolitisch negativ besetzt – wenn nicht gar tabuisiert - war, auf Grund wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels einer realistischeren und weniger ideologiebefrachteten Betrachtungsweise Platz gemacht hat. Seitdem werden in der öffentlichen Diskussion auch zunehmend die Forderungen nach spezieller Unterstützung Hochbegabter laut. Diesbezügliche Kongresse, z. B. 1998 der Kongress zur Hochbegabtenförderung des Bayerischen Kultusministeriums in Zusammenarbeit mit der BMW AG in München, unterstreichen diese neue Sichtweise.

Nicht zuletzt wird mit der Begabtenförderung auch ein für die Gesellschaft essentielles Problem angegangen und verdeutlicht: die Notwendigkeit der Schaffung einer Leistungs- bzw. Verantwortungselite als entscheidender Faktor der Zukunftssicherung. Somit ist in jüngster Zeit – auch unter dem Eindruck des „PISA-Schocks“ und des Konkurrenzdrucks durch die Globalisierung - die Identifizierung und die Beratung besonders Begabter mit zu einem wichtigen Thema der Schulberatung geworden, da auch Eltern, Lehrer und Schulen für diese Thematik sensibler geworden sind.

Beratungsbedarf am Beispiel Grundschule

Zur Verdeutlichung möglichen Beratungsbedarfs seien hier als Beispiel die Zahlen aus dem Grundschulbereich angefügt.

Im Schuljahr 2002/2003 besuchen - statistisch gesehen - 10.349 besonders begabte Kinder die bayerischen Grundschulen, davon sind 2531 Schulanfänger. Diese Anzahl entspricht 2% der Schüler einer Altersgruppe, die erwartungsgemäß in Intelligenztests IQ-Werte von etwa 130 erreichen und damit gemeinhin als „hoch begabt“ gelten.

Aspekte der Förderungsbedürftigkeit  und der Förderungsnotwendigkeit

Auf der einen Seite sind es selbstbewusste Eltern, die entsprechende Hilfen und Angebote erwarten, während auf der anderen Seite eine immer enger werdende Finanzdecke der öffentlichen Hand dies nicht immer zur vollen Zufriedenheit gewähren kann.

Diesem Dilemma sieht sich oft auch die Schulberatung gegenüber, die deshalb auch initiativ an der Schaffung weiterer Möglichkeiten der Förderung besonders Begabter mitwirkt.

Von der Berechtigung und Notwendigkeit begabungsgerechter Förderung ist jeder überzeugt, in Bezug auf hoch begabte Kinder ist dies aus mehreren Gründen schwierig, insbeson­dere dann, wenn diese Kinder so genannte Minderleister (Underachiever) in der Schule sind oder sich dazu entwickeln.

Besonders Begabte verfügen oft über eine besonders schnelle Auffassungsgabe, ein exzel­len­tes Gedächtnis, sehr gute sprachliche Fähigkeiten, originelle Lösungsideen, Ausdauer und Anstrengungsbereitschaft, Sozialkompetenz, umfangreiches Sachwissen und vielfältige Interessen, manchmal allerdings nur über eine oder zwei dieser Fähigkeiten. Auch mehrere der genannten Fähigkeiten sind  jedoch nicht automatisch ein Garant für überdurchschnittliche schulische Leistungen.

Andere Faktoren können entsprechend leistungsmindernd wirken; so verläuft die Entwicklung im körperlichen, emotionalen und kognitiven Bereich oft unterschiedlich schnell. Dazu können sich Umweltfaktoren wie Schule, Familie und Gleichaltrige förderlich oder hemmend auswirken. Für die Qualität der Leistungen eines Schülers ist das Zusammenspiel aller Komponenten ausschlaggebend.

Die Notwendigkeit entsprechender Förderung wird durch diese Überlegungen nicht im geringsten vermindert. Vielmehr ist eine breite Sensibilisierung aller Personen erforderlich, die mit Kindern zu tun haben. Um eine frühe Identifikation, Beachtung und Förderung besonders begabter Kinder möglich zu machen, ist die Beobachtungsfähigkeit aller Bezugspersonen zu fördern. Deutlich wird dies u. a. in Fällen von Lernschwierigkeiten wie z. B. ADHS oder Legasthenie, wo eine besondere Begabung leicht übersehen wird.

Schließlich zeigt sich auch, dass Eltern, die eventuelle Schwächen ihrer Kinder an der Hochbegabung festmachen, negative Folgen für die Kinder bewirken. So können solche Kinder den Wert von ausdauernder und sorgfältiger Arbeit unterschätzen und ihre Talente nicht wirklich umsetzen. Hier sei Albert Einstein zitiert, der bei einem Genie 90 Prozent Arbeit und nur 10 Prozent Genialität sah.

Problem der Identifikation

Nicht einfacher wird dieses Problem durch die Schwierigkeit zweifelsfreier Identifikation besonderer intellektueller Begabung. Aufwändige Untersuchungen und die Sammlung von Beobachtungen aus verschiedenen Quellen sind nötig. Unterschiedliche Begabungsbegriffe, die in der wissenschaftlichen Diskussion einander gegenüberstehen, erschweren eine Einheitlichkeit ebenso wie die Tatsache, dass es im Kontinuum unterschiedlicher Bega­bungen nicht an einer bestimmten Stelle  - etwa einem IQ von 130 – einen qualitativen Sprung zwischen den darüber und den darunter liegenden gibt.

Die Akzeptanz der Thematik litt so nicht nur auf Grund des o.g. historisch bedingt umstrittenen  Elitebegriffs, sondern natürlich auch durch die landläufige Meinung, dass wirkliche Begabung sich schon alleine durchsetzen und letztlich in besonderen Leistungen zeigen werde.

Ablehnung findet sich vor allem auch gegenüber den Kindern, die im sozialen Kontakt oder sonst im Verhalten auffällig werden, was seltener bei Mädchen als bei Jungen geschieht.

Weiterhin ist es einer Akzeptanz hinderlich, wenn auffälliges Verhalten vorrangig als Zeichen besonders guter Begabung gesehen und interpretiert wird.

Durch die Notwendigkeit jedoch, Begabungseliten wahrzunehmen und den immer häufiger geäußerten Leidensdruck vieler verkannter Begabter und ihrer Eltern gewann die Thematik in den letzten Jahren dennoch an Aktualität und Bedeutung.

Diagnostische Möglichkeiten allgemein

Die Diskussion in diesem Bereich dreht sich sowohl um den Einsatz und die Bedeutung unterschiedlicher Testverfahren als auch um die Gültigkeit von Beobachtungen oder Urteilen von Bezugspersonen der betreffenden Kinder. Während manche Experten (z. B. Rost) Lehrerurteile völlig verwerfen, versuchen andere (z. B. Heller) sie einzubeziehen.

In der Praxis – etwa an der Goethe-Kepler-Volksschule oder dem Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg - werden umfassende diagnostische Untersuchungen durchgeführt. Lehrer- und Elternbeobachtungen, auch Schülerbeobachtungen (INKOS, Grundschule in Landshut) werden systematisiert und auf Tauglichkeit in der Praxis untersucht.

Schwierig gestaltet sich gelegentlich die Zusammenarbeit mit nichtschulischen Experten, wenn auffällige Diskrepanzen in den Ergebnissen und Sichtweisen auftreten. Grundsätzlich werden deren Ergebnisse und Beobachtungen in die Analyse einbezogen und liefern Hinweise auf Leistungskapazitäten unter bestimmten Bedingungen.

Keine Übereinstimmung von Experten gibt es bisher darüber, welche Intelligenztests einzusetzen sind. Präferiert wird daher die Kombination verschiedener Tests, Einzeltests und Gruppentests mit allgemeineren Aufgabenstellungen und stärker schulbezogenen Subtests. So lässt sich sowohl eine Aussage über die vermutliche intellektuelle Kapazität als auch über die in der Schule zu erwartende Umsetzung machen. Eine Diagnose, die zu hohe Erwartungen nährt, führt ebenso zu Frustrationen wie zu niedrige Erwartungen und zu geringe Anforderungen.

Fragen der Zugangsberechtigung zu den Angeboten

Landesweit, etwa auch am Maria-Theresia-Gymnasium in München und am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg, setzt sich die Vorstellung durch, dass dann, wenn Zugangsberechtigungen für besondere Klassen eine Rolle spielen, aktuelle und von Schulpsychologen durchgeführte Untersuchungen notwendig sind. Die letzte Entscheidung muss der Schule selbst vorbehalten bleiben. Als Grundsatz gilt dabei, dass die Diagnose „Hochbegabung“ keine Antwort auf Schwierigkeiten ist, sondern die Frage nötiger und möglicher Förderung im individuellen Fall aufwirft.

Die Frage nach der Zugangsberechtigung zu besonderen Arbeitsgemeinschaften, Projekten oder sonstigen Aktivitäten im Grundschulbereich sollte auf der Basis umfassender Eltern- und Lehrerbeobachtungen beantwortet werden Eine testpsychologische Feststellung des IQ-Wertes wird in diesem Zusammenhang als eher hinderlich, nämlich als soziale und sonstige Gräben eröffnende Gefahr gesehen.

Diagnose im Komplex von Person und System

Wenn klar ist, dass Hochbegabung als Diagnose noch keine Antwort auf die Frage nach angemessener Förderung im entsprechenden Fall beinhaltet, dann muss die Erfassung der Möglichkeiten, Hintergründe und spezieller Belastungen sehr breit angelegt sein. So ist es erforderlich, neben den Persönlichkeitsmerkmalen, den „Moderatoren“ (Heller) des Kindes auch sog. Stützfaktoren wie Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit, Motivation und – wie schon erwähnt - Einflüsse der Familie, der Peergroup sowie das ganze Umfeld in die Untersuchung einzubeziehen.  So erweist sich z. B. eine Diagnose und nachfolgende Beratung ohne Einbeziehung der Lehrer leicht als unbefriedigend.

Checklisten für Eltern, Lehrer und sogar Klassenkameraden können hilfreich sein und mit dazu beitragen, die häufige Überschätzung der Bedeutung von Intelligenztestwerten zu mindern.

Am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg bewähren sich im Moment so genannte Beobachtungs- oder „Kennenlern“-Tage, bei denen Kinder in unterschiedlichen sowohl leistungsbezogenen als auch nicht leistungsbezogenen Situationen erlebt und beobachtet werden können. Sie haben den Vorteil, dass sie Kindern Spaß machen und nicht den Charakter einer Prüfung haben.

Ansätze zur Erfassung der Lernfähigkeit

Besondere Bedeutung könnten auch Ansätze in der Diagnostik haben, die weniger von dem statischen IQ ausgehen, sondern von der Lernfähigkeit, die dadurch definiert wird, dass nach der ersten unbeeinflussten Durchführung eines Intelligenzverfahrens Strategien für die Bewältigung dieser Aufgaben angeboten werden und dann das Verfahren erneut durchgeführt wird. Aus der Differenz der Ergebnisse im ersten und zweiten Durchgang wird nicht nur auf die Lernfähigkeit geschlossen, sondern auch darauf, welche Unterstützungsstrategien individuell besonders wirksam waren. Diese geben Hinweise für die besonderen Unterstützungsmöglichkeiten bei einem bestimmten Kind (vgl. Feuerstein).

Fördermöglichkeiten

Überspringen von Klassen (Akzeleration)

Grundsätzlich sollte das Überspringen möglichst frühzeitig erfolgen. Dieser Erfahrung wird auch indirekt Rechnung getragen durch die Möglichkeit der vorzeitigen Einschulung wie sie im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz verankert ist., wobei die Voraussetzungen dafür im Einzelfall schulpsychologisch überprüft werden müssen. Eine Einschulung in die zweite Klasse ist allerdings ausgeschlossen.

Zeigt sich schon am Beginn oder während der Grundschulzeit, dass die Passung zwischen intellektuellem Potential und schulischer Anforderung fehlt, kann nach den Bestimmungen der Volksschulordnung (§ 27 VSO) eine Beschleunigung des Lernstoffs durch Überspringen in die nächste Jahrgangsstufe erfolgen. Nach Überprüfung der Voraussetzungen (schulpsychologische Diagnostik) kann der Schulleiter den Antrag der Eltern auf Überspringen einer Jahrgangsstufe befürworten, wenn zu erwarten ist, dass der Schüler nach Reife und Leistungsfähigkeit den Anforderungen gewachsen ist.

Das Überspringen kann in der Grundschule in besonders begründeten Fällen auch ein zweites Mal genehmigt werden.

Nach der Entscheidung für das Überspringen hat der Schüler ein Anrecht auf Hospitation in der nächsthöheren Klasse.

Die mögliche Beschleunigung durch Überspringen beim Übertritt ans Gymnasium, d. h. von Jahrgangsstufe 3 der Grundschule in die Eingangsklasse (Jgst. 5) des Gymnasiums erfordert eine ganz besonders sorgfältige Beratung und individuelle Förderung, da hier bei höheren Anforderungen und der Konfrontation mit einer anderen Schulart mit Schwierigkeiten gerechnet werden muss. Andererseits wird diese Möglichkeit durch die Schulordnung der Gymnasien gefördert, da mit der Befürwortung des Überspringens die Aufnahmevoraussetzungen ins Gymnasium – und damit die Eignungsbestätigung - schon erfüllt sind.

In der Zeit vor und nach dem Überspringen braucht der Schüler in besonderem Maße die emotionale Unterstützung, Wertschätzung und Anregung von Eltern und Lehrern; denn es gilt dann, Schulstoff nachzuarbeiten und sich in die neue Klasse einzugewöhnen. Erfahrungsgemäß wird das Überspringen als Herausforderung gut akzeptiert und bewältigt, vor allem wenn nach der Überprüfung entscheidender Voraussetzungen das Kind, Schule und Familie beraterisch begleitet wurden.

Überspringen von Klassen wurde lange Zeit als der Königsweg der Hochbegabtenförderung in der Regelschule, insbesondere in der Grundschule, gesehen, solange andere Möglichkeiten sich kaum anboten. Wenn Kinder in die Grundschule eintreten, die bereits rechnen, lesen und vielleicht sogar schreiben können, dann ist es naheliegend, dass die Lösung selbstverständlich zu sein scheint, dass diese Kinder in eine Klasse eintreten, die ihrem Leistungsstand entspricht. Leider bringt diese Lösung jedoch in manchen Fällen nur kurzfristig Erleichterung für die gelangweilten Kinder, da die Herausforderung nach der ersten Zeit des Springens bald erneuter Langeweile weichen kann. Die Lernschritte sind weiter zu klein, die emotionale Integration in die Gruppe der älteren Kinder gelingt nicht oder Teilleistungen, wie z. B. flüssiges Schreiben, das guter Entwicklung und Übung der Feinmotorik bedarf, führt zu Frustrationserlebnissen. Erschwerend kann in solchen Fällen auch sein, wenn Lehrer keine Übergangszeit gewähren oder einer solchen Versetzung aus verschiedenen Erwägungen heraus grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Fazit aus diesen Erfahrungen ist, dass ein Automatismus des Überspringens abzulehnen ist. Vielmehr muss eine differenzierte Diagnose unter Einbeziehung des gesamten Umfeldes im Sinne systemischen Vorgehens empfohlen werden.

Förderung durch zusätzliche Angebote (Enrichment)

Förderansätze sind inzwischen vielfältig, aber alle nicht flächendeckend umgesetzt. Es gibt schulische Förderung im Klassenverband und außerhalb des Klassenverbands, dazu För­der­­angebote nichtschulischer Gruppierungen, z. B. durch Selbsthilfegruppen von Eltern.

Schulische Fördermaßnahmen im Klassenverband

Förderung im Klassenverband nutzt die Möglichkeiten der inneren Differenzierung. Nicht Separierung von besonders befähigten Schülern aus ihrer direkten Lernumgebung steht im Vordergrund, sondern integrative Förderung.

Ein Hindernis ist dabei der Mangel an geeigneten Materialien oder wenig Beweglichkeit bei den räumlichen Voraussetzungen. Es zeigt sich an dieser Stelle, dass die Bemühungen um bestmögliche Förderung gut begabter Kinder allen zugute kommen, denn es geht dabei um das Angebot individuell ausgerichteter Lerngelegenheiten.

Schulische Fördermaßnahmen außerhalb des Klassenverbands

An vielen Schulen und Schularten, vor allem an weiterführenden Schulen, bieten Enrichment- oder Pluskurse zusätzliche Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten. Sie können ebenso in Form von Arbeitsgemeinschaften oder Projekten auftauchen. Sie werden für einzelne Schulen angeboten, bei mehr als der Hälfte aller Gymnasien gehören sie zum Standardangebot, können aber auch, vornehmlich in Ballungsräumen, schulübergreifend für mehrere Schulen angeboten werden. Das Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung hat schon 1990 eine Handreichung für die Gestaltung von Pluskursen erstellt.

Erst allmählich wird erkannt, dass solche Angebote besonders in der Grund- und Unterstufe nötig sind. Mit der Initiative Würzburger Schülerakademie wird diesem Bedürfnis seit einigen Jahren Rechnung getragen.

Bevor die Würzburger Schülerakademie ihre Angebote an Eltern und Schüler richten konnte, mussten umfangreiche und zeitaufwändige Vorbereitungsarbeiten bewältigt werden, an denen die Schulberatungsstelle für Unterfranken initiativ und kooperativ beteiligt war. Inzwischen organisiert und plant die Dienststelle federführend die jeweiligen neuen Kurse zu Schuljahresbeginn.

Ferienseminare und Wettbewerbe

Weiterhin zu nennen sind hierzu auch sog. Ferienseminare auf Bundes- und Landesebene. Hier treffen sich besonders interessierte und leistungsfähige Schüler und bearbeiten in Projektarbeit unterschiedlichste Themen. Darüber hinaus erhalten sie die Gelegenheit, mit bekannten Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Wirtschaft etc. in Kontakt zu treten.

Als schulübergreifendes Angebot, das Begabtenförderung ermöglicht, sind zusätzlich die verschiedenen Landes- und Bundeswettbewerbe wie z.B.  Alte Sprachen und  Mathematik  anzuführen.

 

 

Selbsthilfegruppen der Eltern

Manchmal wird die Palette der Angebote durch engagierte Eltern erweitert. Dazu gehören Kursangebote meist in sehr kleinen, auch altersgemischten Gruppen zu speziellen Themen, wie Archäologie, biologische Praktika, Chemie, Physik, Philosophie, Theater und Sprache, Schreibwerkstatt, Astronomie, Geheimsprachen, Hieroglyphen und Psychologie. Letzteres vor allem im Sinne einer Verbindung von Theorie und Reflexion des eigenen Verhaltens.

In der Art von Selbsthilfegruppen erfahren auch Eltern in solchen Gruppierungen Solidarität und Unterstützung. Freizeitaktivitäten mit den Kindern helfen diesen, gleichgesinnte Freunde zu finden. Auch wenn gelegentlich zu sehr davon ausgegangen wird, alle Probleme der Kinder seien auf die Hochbegabung zurückzuführen, hat die Aktivität der Eltern zu einem nicht unerheblichen Maße dazu beigetragen, dass die Problematik in der Öffentlichkeit und der bildungspolitischen Diskussion eine zunehmend größere Rolle spielt.

Kooperation Eltern-Schule

Besonderer Erwähnung bedürfen Aktivitäten, die in Kooperation zwischen Eltern und Schule zustande kommen. So werden unter der Federführung der staatlichen Schulberatungsstelle in Oberbayern/Ost seit einigen Jahren in München begehrte Wochenendveranstaltungen mit Eltern, Kindern, einigen interessierten Lehrern und anderen Anbietern von Projekten oder Arbeitsgemeinschaften durchgeführt. An diesen Wochenenden können Eltern ihre Erfahrungen austauschen, mit Lehrern und anderen Experten reden, Kinder Anregungen erhalten und - was besonders wichtig ist - Gleichgesinnte kennen lernen. Da sich bei diesen Wochenenden auch die Teilnahme von Geschwisterkindern bewährt hat, ist der Aspekt ausschließlicher Beteiligung Hochbegabter gemildert, was viele Vorteile im Hinblick auf eine wünschenswerte Integration hat.

An einer Erziehungsberatungsstelle in Würzburg erweist sich eine andere Form der Förderung als Erfolg versprechend. Ein auf diese Problematik spezialisierter Psychologe kombiniert hier Beratung von Eltern und Kindern mit Fördermaßnahmen, die einzeln oder in Gruppen erfolgen können.

Schulversuche

Nachdem mehrere Versuche besondere Klassen für besonders begabte Schüler an Gymnasien in Bamberg, Nürnberg, Regensburg und München einzurichten, gescheitert waren, konnte erstmals im Schuljahr 2000/01 am Maria-Theresia-Gymnasium, München, eine solche Klasse beginnend mit der 6. Jahrgangsstufe eingerichtet werden. Es folgte im Jahr darauf die Einführung eines weiteren Modellversuchs am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg, bei dem schon mit der Jahrgangsstufe 5 begonnen wurde.

Zum Schuljahr 2001/02 erhielt die Goethe/Kepler/Volkschule in Würzburg ein zusätzliches Stundenkontingent für die Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler. Der Antrag auf Fortsetzung dieser Fördermöglichkeit als Schulversuch wurde bereits eingereicht und wird zur Zeit überprüft.

Der Schulversuch „Jahrgangsgemischte Eingangsstufe“ erweist sich an verschiedenen Grundschulen Bayerns als zukunftsweisender Förderrahmen.

Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Zielsetzung entsprechender Förderung. Grundlage vieler Angebote ist der Anspruch, ganzheitlich zu fördern, nicht nur in speziellen, meist kognitiv ausgerichteten Interessengebieten, sondern auch im kreativen, gestalterischen Bereich. Viele Angebote zielen zudem auf die Entwicklung verantwortungsbewussten Handelns und Rücksichtnahme auf andere ab; am Deutschhaus–Gymnasium wurde als eigenes Fach „Personale Kompetenz“ eingeführt.

Weitere Fördermöglichkeiten ergeben sich durch entsprechende Schulwahl. Um ein Modell der Akzeleration handelt es sich beim Schulversuch „8-jähriges Gymnasium“, wo der Unterrichtsstoff der Jahrgangsstufen 6 bis 11 auf 5 Jahre komprimiert wird. Dem Schulversuch liegen die Ergebnisse der Modellversuche in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zugrunde.

Überschulische und außerschulische Initiativen

Besonderer Erwähnung bedarf die Unterstützung von Aktivitäten durch die Karg-Stiftung, die sich der Förderung von Hochbegabung annimmt. Viele Erfolg versprechende Ansätze werden finanziell und durch die Organisation von hochkarätigen Fortbildungs- und Austauschveranstaltungen vor allem der Beteiligten an entsprechenden Modellversuchen unterstützt.

In Würzburg bewährt sich die Einbeziehung verschiedener Partner in die Diskussion. So entstand ein Regionalforum zur Hochbegabtenförderung in Zusammenarbeit von Schulabteilung der Regierung und dem Forum Eltern-Lehrer-Schüler (FELS), das sich insbesondere der Schulentwicklung annimmt. Ihm gehören sowohl Vertreter der verschiedenen Schularten als auch der Eltern, der Universität, der Wirtschaft, des Jugendamts, der Schulberatung, des Kindergartens als auch weitere Experten an. Bei anlassbezogenen Treffen zwei oder drei Mal im Jahr kommen regional relevante Themen zur Sprache. Auf diese Weise konnten der Schulversuch am Deutschhaus-Gymnasium auf breiter Basis diskutiert und die dabei gewonnenen Erkenntnisse auf die o. g. Grundschule und nun auch auf den Kindergarten ausgedehnt werden. Überdies konnte in Kooperation mit einer Erwachsenenbildungstätte der Region eine Wochenendtagung zur Diskussion grundsätzlicher Fragen initiiert werden.

Mit großen Hoffnungen verbunden ist die Zusammenarbeit mit der Universität, die Anregungen und Möglichkeiten wissenschaftlicher Begleitung der Modellversuche einbringt. Bisher fehlen noch empirisch gewonnene Daten über den Erfolg von unterschiedlichen Fördermodellen. Deshalb sind erste Ergebnisse einer solchen begleitenden Untersuchung am Deutschhaus-Gymnasium mit Spannung zu erwarten.

Erst gelegentlich wird engere Zusammenarbeit mit der Universität genutzt. Gymnasiasten besuchen Veranstaltungen der Universität in ihren Spezialgebieten. Auf diesem Feld ist eine Verbreiterung des Angebotes und leichtere Institutionalisierung wünschenswert.

In diesem Zusammenhang sei auch an die finanzielle Förderung hoch begabter Studierender erinnert. Diese Stipendien werden im Anschluss an die Gymnasialzeit in größerem Umfang flächendeckend nach speziellen Prüfungen bei den Ministerialbeauftragten vergeben.

Die Rolle der Schulberatung

Das bisher geschilderte Panorama der Hochbegabtenproblematik macht sehr schnell klar, dass insbesondere die Schulberatung hier gefordert ist, z. B. Initiativen zu begleiten und zu unterstützen sowie selbst aktiv zu werden. Dazu gehört neben den bereits erwähnten regionalen Aktivitäten natürlich die Auskunftserteilung für Ratsuchende zu dieser Thematik in der täglichen Beratungspraxis. Überdies waren die Schulberatungsstellen diesbezüglich noch auf folgende Weise tätig:

An erster Stelle stand dabei die Sensibilisierung der Schulpsychologen und Beratungslehrkräfte aller Schularten gegenüber der Thematik in Dienstbesprechungen und Fortbildungsveranstaltungen. Im Zentrum dieser Veranstaltungen stand die Kompetenzerweiterung bezüglich diagnostischer Möglichkeiten und Förderansätzen. Der sich dabei ergebende Erfahrungsaustausch ist von besonderer Bedeutung, da empirisch noch wenig bekannt ist, was sich in der Praxis als erfolgreich erweist. 

Schulpsychologen der Schulberatungsstelle für Unterfranken sind eng mit der Entwicklung und Begleitung der Würzburger Schulversuche befasst.  So sind sie neben anderen Kolleginnen und Kollegen an der Weiterentwicklung der Diagnostik bei der Aufnahme ans Deutschhaus-Gymnasium ebenso beteiligt wie generell an der Weiterentwicklung der Konzeption an beiden Schulen.

Auch Veranstaltungen zusammen mit Eltern erwiesen sich als sehr beeindruckend und für das Verständnis der Situation von besonders Begabten als hilfreich, wenn diese Eltern aus ihrer teils sehr leidvollen Erfahrung direkt berichten konnten.

Blick in die Zukunft

Weitere Ansätze künftiger Aktivitäten auf diesem Gebiet sieht die Schulberatung u. a.:

Beratung und zukünftige Tätigkeiten zu diesem Problem sollten sich von drei grundsätzlichen Erkenntnissen leiten lassen:

1.      Erst wenn einseitige Voreinstellungen nicht nur bei Lehrern, sondern auch bei Eltern überwunden werden können, lassen sich die Antworten zu bestmöglicher Förderung der Kinder finden, die nicht ausschließlich in der Diagnose Hochbegabung zu finden sind. Aus diesem Grund ist enge Zusammenarbeit  der Beteiligten Voraussetzung für ein Gelingen der Bemühungen um eine angemessene Förderung der Kinder.

2.      Die Zusammenarbeit beteiligter Institutionen, wie sie z. B. im Regionalforum Hochbegabtenförderung in Unterfranken geschieht, ist eine wichtige Voraussetzung für kontinuierliche und sich ausweitende Entwicklung in dem Bereich Hochbegabungsförderung.

3.      Die Erkenntnisse bezüglich Differenzierung im Unterricht, Identifizierung von besonderem Förderbedarf und dessen Realisierung, der Notwendigkeit von Zusammenarbeit von Beteiligten und von Teamarbeit von Lehrern können als Modell für die Förderung besonders begabter Kinder dienen. Zugleich aber können sie auch für alle Beteiligten dienlich sein, wenn es gilt – wie es die Bayerische Verfassung sinngemäß betont - jedem Einzelnen gemäß seinen Fähigkeiten Förderung angedeihen zu lassen.