Aus dem Tätigkeitsbericht 2003 der neun staatlichen Schulberatungsstellen
Bayerns:
Arno Bauerschmidt,
WernerTauscher
Zusammenarbeit
von Beratung und mobilen sonderpädagogischen Diensten
1. Anlass für die
Überlegungen ist ein Beratungsfall aus der Praxis. Der Lehrer einer 3. Klasse
Grundschule kommt zum Beratungslehrer und erklärt dort, dass ein Junge in
seiner Klasse ist, der wohl zum Zwischenzeugnis in Deutsch und Mathematik die
Note 5 erhalten wird. Er möchte gerne wissen, was in diesem Fall zu tun ist.
2. Einer Veröffentlichung
des Staatsministeriums zum aktuellen Thema: „Europäisches Jahr der Menschen mit
Behinderungen 2003“ ist zu entnehmen: „Frau Staatsministerin Hohlmeier ist es
ein besonderes Anliegen, innerhalb des bayerischen Schulsystems die vielfältigen
und bewährten Kooperationen zwischen den allgemeinen Schulen und den
Förderschulen aufzuzeigen und der Öffentlichkeit bewusst zu machen, in welch
hohem Ausmaß Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf
bereits in den allgemeinen Schulen unterrichtet und gefördert werden.“
Im Folgenden soll der oben genannte Fall unter dem Gesichtspunkt
der Zusammenarbeit dieser verschiedenen Dienste dargestellt werden.
3. Zuerst soll eine
Kennzeichnung der verschiedenen Dienste erfolgen.
Ø Beratung:
In der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und
Kultus vom 29. Oktober 2001 wird Schulberatung als ein Teil der schulischen
Erziehungsaufgabe gekennzeichnet. Dabei werden der Schulberatung vor allem die
folgenden vier Bereiche zugeordnet.
§
Die
Schullaufbahnberatung dient der individuellen Beratung hinsichtlich der Wahl
der Schullaufbahn und der allgemeinen Information über das schulische Bildungsangebot.
§
Die
pädagogisch–psychologische Beratung hilft bei der Bewältigung von Schulproblemen,
wie Lern- und Leistungsschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und
schulischen Konflikten.
§
In der Beratung
von Schule und Lehrkräften sollen die gewonnenen Erkenntnisse für die
Weiterentwicklung der Schulen und der Schulsysteme nutzbar gemacht werden.
§
Durch die
Zusammenarbeit mit anderen Beratungsdiensten soll eine Abstimmung bei Bedarf
erreicht und die Wirksamkeit der Einrichtungen im öffentlichen Interesse erhöht
werden.
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Ø Der mobile sonderpädagogische Dienst ist ein ambulantes Beratungs- und Förderangebot der
Förderschule zur individuellen Förderung von gefährdeten und von Behinderung
bedrohten Kindern der Regelschule mit schulischen Problemen. Durch eine zusätzliche
besondere pädagogische Betreuung soll der sonderpädagogische Förderbedarf dieser
Schüler an der allgemeinen Schule erfüllt werden (BayEUG, Artikel 21). Der
mobile sonderpädagogische Dienst arbeitet
§
präventiv
(drohendes Schulversagen des Kindes zu vermeiden)
§
integrativ
(Verbleib des Kindes an der Regelschule zu ermöglichen)
§
subsidiär
(Hilfestelle, Schutzmaßnahme, Verbesserungen)
§
kooperativ (enge
Zusammenarbeit mit Schule und Elternhaus).
aus:
Zeitschrift für Behindertenpädagogik in Bayern/3/2002
Ø Förderlehrer unterstützen den Unterricht und tragen
durch die Arbeit mit Schülergruppen zur Sicherung des Unterrichtserfolgs bei.
Die Förderlehrer übernehmen besondere Aufgaben der Betreuung von Schülern
selbstständig und eigenverantwortlich und wirken bei sonstigen
Schulveranstaltungen und Verwaltungstätigkeiten mit.
4. Neuer Ansatz in der
Sonderpädagogik (Paradigmenwechsel). Früher hatte die Förderschule eine die
Volksschule entlastende Funktion, die Diagnostik wurde als Selektionsinstrumentarium
zur Feststellung einer „Sonderschulbedürftigkeit“ verstanden. Die Einschulung
in die Förderschule war meistens nicht mehr umkehrbar und der Förderort wurde
in der Sonderschule festgelegt. Heute versteht sich die Sonderpädagogik als die
Volksschule unterstützend, sie arbeitet präventiv und fördert die Integration
des Kindes in die Gleichaltrigengruppe. Die Diagnostik wird als
Förderdiagnostik verstanden, die dazu führt einen diagnosegeleiteten Unterricht
vorzubereiten. Die Übernahme in eine Fördergruppe wird als vorläufig und
jederzeit revidierbar angesehen und die Lernorte können sehr vielfältig zum
Beispiel an der Regelschule oder an der Regelschule mit sonderpädagogischem
Dienst sein.
5. Im neuen Lehrplan der
Grundschulen in Bayern (August 2000) wird im Kapitel 1 festgestellt, dass die
Grundschule als erste und gemeinsame Schule Lernort und Lebensraum ist für eine
Schülerschaft von großer Heterogenität in Bezug auf ihre familiäre, soziale, regionale
und ethnische Herkunft sowie ihre individuellen Lern- und Leistungsdispositionen.
Schüler,
die besonderer Hilfe oder einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, werden
von der Grundschule mit ihren Mitteln und Möglichkeiten, zum Beispiel auch
durch den Einsatz von Förderlehrern unterstützt. Dabei arbeitet die Schule je
nach Gegebenheit mit den Beratungsdiensten und mobilen sonderpädagogischen
Diensten zusammen. (2.4)
(Siehe Abb 1)
6. Möglichkeiten des
Beratungslehrers:
-
Durchführung
eines Rechtschreibscreenings durch den Klassenlehrer, auf Hinweis des
Beratungslehrers (Verdacht auf Lese- Rechtschreibstörung oder –schwäche).
-
Gespräch mit den
Eltern (Anamnese) und gegebenenfalls Einholung der Genehmigung zur Durchführung
von Testverfahren.
-
Tests zur
Begabung, zur Anstrengungsbereitschaft, zur Angst, zur Konzentration können
durchgeführt werden, hier kann eventuell ein staatlicher Schulpsychologe zugezogen
werden, wenn es um den Persönlichkeitsbereich geht.
-
Der
Beratungslehrer erstellt ein Gutachten, in dem er seine Erkenntnisse
zusammenfasst. Es werden dann alle Beteiligten innerhalb der Schule Absprachen
treffen und eine gemeinsame Beratung über die zukünftige Vorgehensweise
anberaumen. Aufgrund des Gutachtens des Beratungslehrers kann dann eine
Entscheidung getroffen werden, ob das Kind in der Grundschule verbleibt und
dort Fördermöglichkeiten eingesetzt werden (zum Beispiel durch
diagnosegeleitetes Fördern mit Hilfe des Förderlehrers) oder ob das Kind in der
Grundschule bleibt und der mobile sonderpädagogische Dienst in Anspruch genommen
werden soll.
Der
Beratungslehrer kann die schulischen Dokumente (Schülerbogen, Proben, Aufsätze,
usw.) sichten und dort mögliche Hinweise auf einen Förderbedarf des Kindes
erkennen.
Diese Hinweise können liegen
im Bereich der Einschulung:
-
Kinder, die aus
der schulvorbereitenden Einrichtung (SVE) kommen,
-
Kinder, die bei
der Schuleingangsdiagnostik Auffälligkeiten zeigen, zum Beispiel in der auditiven
Wahrnehmung.
in der
1. Jahrgangsstufe:
-
Probleme beim
Leselehrgang (Buchstabe – Silbe – Wort – Text): Schnelles Dekodieren einfacher Wörter
ist die Stufe, die für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb erreicht werden
muss.
-
Rechenprobleme:
Fehlen pränumerischer Grundlagen
weitere
Problembereiche:
-
Problematisches
Lern- und Arbeitsverhalten, Konzentration
-
Plötzlicher
Leistungsabfall, –einbruch in einem Fach
-
Leistungsversagen
in einem Fach
-
Leistungsversagen
in zwei Fächern (zum Beispiel Deutsch, Mathematik die Note 5)
-
„Vorrücken“
gefährdet, als Zeugnisbemerkung, was darauf hinweist, dass das Kind Hilfe
braucht
-
Wiederholung
einer Jahrgangsstufe
-
Der Förderlehrer
macht Beobachtungen im Förderunterricht (siehe Abb 2)
Zusammenarbeit zwischen Regelschule und Förderschule (Art. 21
BayEUG)
Mobile Sonderpädagogische Dienste
▼
2.
Versuch der Problembewältigung durch die Klassenleitung Fortlaufende
Beobachtung – Beschreibung der Auffälligkeiten – Versuch einer
Problemanalyse – Entwicklung und Erprobung eigener Strategien
3.
Kontaktaufnahme mit Eltern und Einbeziehung in
(zumindest Information über) alle zu treffenden Entscheidungen
▼
(Beratungslehrer
evtl. Schulpsychologischer Dienst) Differenziertere Diagnostik – Beratung
der Lehrkraft –
Entwicklung und Erprobung gemeinsamer Strategien
▼
4. Versuch einer Problembewältigung
unter
Einbeziehung der Schulberatung
5.
Absprache aller Beteiligten innerhalb der Schule (Klassen
– Beratungslehrer – Fachlehrer – Förderlehrer – Schulleitung) Gemeinsame
Beratung über Vorgehensweise – Entscheidung, ob ein Mobiler Sonderpädagog.
Dienst in Anspruch genommen werden soll.
▼
6.
Kontaktaufnahme der Schulleitung von Grund-/ Hauptschulen und Förderschulen Anforderung
des Mobilen Dienstes – erster Informationsaustausch
▼
7.
Übermittlung eines Schulberichtes Über
den Fall und die bisher durchgeführten Maßnahmen an die Förderschule 8. Erhebung weiterer förderdiagnostisch
bedeutsamer Fakten durch den Mobilen Dienst in Zusammenarbeit mit der
Klassenleitung : Gespräche – Schülerbeobachtung- anamnestische Erhebungen –
Überprüfungen -Umfeldanalyse
▼
▼
Vereinbarung über Art
und Umfang der notwendigen Förderung – Inhalte der Förderung –
Organisationsformen – Einbeziehung weiterer Personen (Förderlehrer, Eltern,
Erziehungsberatung u. a.)
▼
Feststellung des sonderpädagogischen
Förderbedarfs – gemeinsame Absprachen über das Förderkonzept
Beratung der
Lehrkraft – Förderunterricht – Prozessdiagnostik –Vermittlung weiterer
Fachdienste in enger Zusammenarbeit mit
der Klassenleitung
▼
Tätigkeit des Mobilen Dienstes
Abb. 2 Aussprache über Ereignisse der durchgeführten Maßnahmen – gemeinsame
Entscheidung über Abschluss oder Fortsetzung der Maßnahme – Diskussion
möglicher Alternativen
Regelmäßige Absprache aller Beteiligten
▼
7. Wiederaufnahme des
Fallbeispiels:
Für das Kind mit den Noten 5 in Deutsch und
Mathematik sollte jetzt ein Förderplan durch das Zusammenwirken von
Klassenlehrer, Beratungslehrer und MSD erstellt werden, aus dem die nächsten
Schritte genau hervorgehen. Die Wirksamkeit des Förderplans muss in gewissen
zeitlichen Abständen überprüft werden, auch in der Zusammenarbeit Förderlehrer,
Beratungslehrer und mobiler sonderpädagogischer Dienst.
Diese Zusammenarbeit ist unbedingt notwendig,
damit Schülerkarrieren an allgemeinbildenden Schulen vermieden werden, die zu
einer Entlassung der Schüler aus sehr niedrigen Jahrgangsstufen führen z.B. 6.
Klasse!