Aus dem Tätigkeitsbericht 2003 der neun
staatlichen Schulberatungsstellen Bayerns:
Helmut Jüngling
Schulentwicklung und
Schulberatung
Schulentwicklung und Schulberatung auf getrennten
Wegen?
Der
Kongress „Schulinnovation 2000 – Schulen auf dem Weg“ im April 2000 in Augsburg
und die darauf folgenden Regionalkongresse haben eine Fülle von Initiativen und
Aktivitäten an den Schulen aufgezeigt, die der Verbesserung der Qualität des
Lernens, Arbeitens und Zusammenlebens an
den Schulen dienen sollen. Dabei war das Spektrum sehr breit: Es reichte vom
Brunnenbau oder der Gestaltung des Schulhofes über Auslandskontakte,
Theaterprojekte oder Schulsanitätsdienst bis hin zur methodischen Anreicherung
des alltäglichen Unterrichts oder zur Bildung von Arbeitsgruppen im
Lehrerkollegium. Die Bezeichnung der einzelnen Bereiche der Darbietung als
„Marktplätze“ war sehr treffend; bunt wie auf einem Jahrmarkt ging es zu,
alles, was irgendwie brauch- und vorzeigbar war, wurde ausgebreitet. Diese bunte
Vielfalt blieb den Kongressen auch nach den „12 Augsburger Thesen“ erhalten,
mit denen die Hauptlinien gezogen wurden, an denen sich die Schulen
weiterentwickeln sollten.
Dabei
erscheint bemerkenswert, dass sowohl beim Augsburger Kongress als auch bei den
regionalen Veranstaltungen, soweit ich Einblick in die Angebote gewinnen
konnte, die Qualität, ja das Vorhandensein der Beratung an der Schule offenbar
nicht als Element von Schulqualität präsentiert wurde. Zugegeben: man kann eine
in der jetzigen Form seit dem Jahr 1973 bestehende Einrichtung nur schwerlich
als Innovation darstellen; doch geht es ja auch bei Innovationen im Unterricht
oder bei der Elternarbeit nicht darum, diese Einrichtungen selbst als noch die
da gewesen zu qualifizieren, sondern neuen Stil, gewandelte Form und anderen
Geist in ihrer Leistung für die Verbesserung der Schulqualität aufzuzeigen.
Der
unbefangene Kongressbesucher hätte die Schulberatung als Teil der Schulentwicklung
tatsächlich vergessen können, hätte sie sich nicht selbst auf einem Stand in
Augsburg präsentiert. Mehr noch: In Oberbayern/West war die Schulberatungsstelle
selbst Organisatorin des Kongresses in Ingolstadt, die Schulberatungsstelle für
Oberfranken organisierte die entsprechende Veranstaltung in ihrem Regierungsbezirk.
Die Schulberatungsstellen von Oberbayern/Ost, Niederbayern, Schwaben und
Mittelfranken arbeiteten im Organisationsteam mit und waren auf den Kongressen
mit einem eigenen Stand vertreten. In der Oberpfalz, wo eine Gruppe unter der
Leitung des Lehrstuhls für Schulpädagogik bereits seit Jahren das „Regensburger
Netzwerk innovativer Schulen“ (RENIS) pflegt, musste die Präsenz der Schulberatungsstelle
beim Regionalkongress freilich mit nicht unbeträchtlichem Energieaufwand durchgesetzt
werden.
Geradezu
paradox mutet an, dass in vielen Fällen Beratungsfachkräfte oder ehemalige
Beratungslehrkräfte in vorderster Linie am Schulentwicklungsprozess beteiligt
sind, ihre eigene Tätigkeit jedoch nicht als Teil dieses Prozesses zu begreifen
scheinen. Dabei ist der Anteil der Beratungsfachkräfte daran sehr hoch, wie ein
Blick auf die Referentenliste des „Multiservice“ der Dillinger Akademie zeigt:
Von 45 durch Lehrkräfte aus der Oberpfalz vertretenen Themen werden 21 durch
Beratungsfachkräfte bestritten. Diese Lehrkräfte sind also zu einem weit
überproportional hohen Anteil an einschlägigen Maßnahmen beteiligt.
Dass
sich der Begriff „Schulberatung“ nicht ohne Widerstand mit dem der
Schulentwicklung verbindet, ist nur als psychologisches Phänomen und mit
Ressortdenken zu erklären. Einerseits mag hier der Gedanke am Werke gewesen
sein, mit Schulentwicklung werde etwas völlig Neues in die Wege geleitet, das
per definitionem in bereits Vorhandenem gar keine Wurzeln haben könne.
Andererseits konnten sich die Beteiligten offenbar nur schwer der Macht der
Begriffe entziehen – „Schulentwicklung“ suggeriert etwas anderes als „Schulberatung“,
und wo auch noch eine gewisse Aufbruchs-Euphorie hinzukommt, da fällt es
schwer, Anliegen, Aufgaben, Methoden und Tätigkeitsfelder als gemeinsame zu
begreifen – Teamgedanke hin, Interdisziplinarität her.
Das
wäre nicht weiter bedenklich, wenn wir in Zeiten lebten, in denen das Problem
bei der Verteilung öffentlicher Mittel darin bestünde, in den Kassen Platz für
neu nachströmendes Geld zu machen. Dann könnte man es sich leisten, Schulentwicklung,
Schulberatung und vielleicht noch den einen oder anderen Beratungsdienst
nebeneinander her arbeiten zu lassen, zu finanzieren und auszubauen, womöglich
auch noch die Schulberatung in die beiden Stränge „Schullaufbahnberatung“ und
„schulpsychologische Beratung“ aufzuteilen. Die Zeiten jedoch, sie sind nicht
danach: Allenthalben sind wir darauf angewiesen, das vorhandene sächliche und
personelle Potenzial möglichst ökonomisch zu nutzen. Für Doppelarbeit oder gar
kräfteverschleißenden Wettbewerb ist hier kein Platz – einer der Punkte, an dem
das Wirtschaftsleben kein Beispiel geben darf.
Daher
ist es als eine sinnvolle Maßnahme zu begrüßen, dass Anfang 2003 die Leiter der
Schulberatungsstellen Oberbayern/West und Oberfranken zu regionalen
Schulentwicklungsberatern bestellt wurden. Es ist zu hoffen, dass die
vorhandenen Arbeitskapazitäten ausreichen, die notwendige Verbindung von
Schulberatung und Schulentwicklung auszubauen und zu festigen.
Schulentwicklung als ein
Grundelement der Schulberatung
Der
Keim zur Beratung von Schule und Schulsystem war bereits in der Dienstordnung
für Schuljugendberater vom 28. Mai 1969 gelegt worden. Hier wurde die Mitarbeit
der – auf den Bereich der Volksschule beschränkten – Berater in pädagogischen
und didaktischen Fragen zumindest als Möglichkeit genannt: Sie sollten zu den
Möglichkeiten der Differenzierung, der programmierten Unterweisung – heute
würde man von der Einbeziehung moderner Informationstechnik in den Unterricht
sprechen -, zur Leistungsmessung, Sexualerziehung, Entwicklung und Begutachtung
von Lehr- und Lernmitteln, Betreuung und Auswertung von Schulversuchen sowie
bei der vorschulischen Förderung herangezogen werden. Schuljugendberater waren
spezialisierte Pädagogen mit einer Ausbildung, die – das scheint ein wenig in
Vergessenheit geraten zu sein – noch nicht einmal der Standardausbildung
heutiger Beratungslehrkräfte entsprach.
Die
Bekanntmachung „Schulberatung an den Schulen“ vom 19. April 1973 formulierte
systemberaterische Aufgaben sogar für die Beratungslehrer, deren Ausbildung
damals erst in ersten Umrissen entworfen wurde. „Der Beratungslehrer“, so hieß
es damals noch bescheiden, „steht mit seinem Rat auch den Lehrern seiner Schule
zur Verfügung“. Und im Zusammenhang mit den Tätigkeitsberichten wurde der
Aspekt der Schulentwicklung recht deutlich: Sie sollten dazu dienen, „die aus
der Praxis gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen allgemein fruchtbar zu machen“.
Diesen
Grundzug der Schulberatung hat Kurt Aurin in seinem Beitrag zum 25-jährigen
Jubiläum der Schulberatung in Bayern im September 1990 deutlich gemacht, als er
formulierte: „Der Beratungslehrer ist nicht nur Anwalt des Schülers, sondern
zugleich Anwalt der möglichen besseren Schule, - einer Schule, die sich in
Frage stellt, einer Schule, die ihre Augen nicht vor den eigenen Problemen
verschließt, einer Schule, die im Interesse ihrer Schüler sich zu verbessern
und weiterzuentwickeln vermag.“
Die Bekanntmachung „Schulberatung in Bayern“ vom 29. Oktober
2001 schließlich baut die Ansätze von 1973 weiter aus: „In der Beratung von
Schule und Lehrkräften sollen die in der Schulberatung gewonnenen Erkenntnisse
und bewährten Methoden für den Unterricht, für die erzieherische Wirksamkeit
der Schulen und für die Weiterentwicklung der Schulen und des Schulsystems
nutzbar gemacht werden“ (Ziff. II,1.3). Und in Ziff. II, 4.3.1 sind
„praxisbegleitende Beratung sowie Hilfe und Unterstützung“ u. a. auch bei
„Maßnahmen der Schulentwicklung“ genannt.
Schautafel der Schulberatung/Oberpfalz zum
Regionalkongress in Weiden
Diese
Elemente der inneren Schulentwicklung sind nicht nur irgendwie in die
Verlautbarungen hineingeratene unverbindliche Ideen; vielmehr stellen sie seit
vielen Jahren integrale Bestandteile der Ausbildung der Beratungslehrkräfte und
der Arbeit aller in der Schulberatung Tätigen dar. Für den – schließlich doch
genehmigten – Beitrag der Schulberatungsstelle für die Oberpfalz zum
Regionalkongress in Weiden wurde daher als Motto „Schulberatung bahnt den Weg“
gewählt. Damit sollte dokumentiert werden, dass wesentliche Anliegen der
Schulentwicklung identisch sind mit dem Selbstverständnis, den Zielen und den
Arbeitsweisen der Schulberatung:
Schullaufbahnberatung
Die
Schullaufbahnberatung ist seit den Anfängen der Schulberatung die
Königsdisziplin dieses Dienstes. Von Außenstehenden wird sie freilich häufig
als bloße Weitergabe von Informationen missverstanden. Ohne Zweifel hat sie es
mit einer Fülle von Fakten, Bestimmungen, Daten und Adressen zu tun. Das ist
aber nur die eine Seite. Die andere Seite besteht in dem Versuch, die
individuellen Voraussetzungen beim Ratsuchenden, seine Eignung, seine Leistungsschwerpunkte,
seine Interessen und Neigungen zusammenzuführen mit den objektiven
Gegebenheiten des Schulsystems.
Seit ihren Anfängen
arbeitet die Schulberatung kontinuierlich und erfolgreich daran, die Wahl der
Schullaufbahn in ihrem Zusammenhang mit dem jeweiligen Profil einer Schule,
ihrem inhaltlichen Ziel, ihren Anforderungen und pädagogischen Möglichkeiten
aufzuzeigen. Durchlässigkeit, ein zentraler Begriff in der Schulberatung,
wurde nie rein technologisch als System von Weichen und Übergängen begriffen;
vielmehr sah und sieht Schulberatung ihren Auftrag darin, Hilfe zur optimalen
Nutzung des schulischen Angebots zu leisten. In unzähligen Informationsabenden,
in der Einzelberatung und in schriftlichen Verlautbarungen – in den letzten
Jahren auch im Internet – geht sie gegen den weit verbreiteten Anspruch an,
Schule habe in erster Linie Berechtigungen zu verleihen oder Chancen zu
verteilen – Inhalte und pädagogische Arbeit seien zweit- oder drittrangig. Wenn
es ein Ziel der Schulentwicklung ist, die Schulen von klappernden Ritualen
einer uninspirierten Unterrichtsmaschinerie frei zu halten oder zu befreien, so
bahnt die Schulberatung den Weg zu diesem Ziel.
Systemberatung
Aus dem täglichen
Umgang mit Schülern, Eltern und Lehrern gewinnt die Schulberatung eine oft sehr
intime Kenntnis von Schwachstellen im Schulsystem. Das können Lücken im
Regelwerk der Schulordnungen sein, Probleme in der Anpassung der Lehrpläne oder
Verfahrens- und Verhaltensweisen, die der Erfüllung des Bildungs- und
Erziehungsauftrages abträglich sind. Ein Vorzug der schulartübergreifenden
Arbeitsweise ist dabei, dass stets das gesamte Schulsystem im Blick bleibt,
wodurch Fern- und Wechselwirkungen bestimmter Entscheidungen sicher erfasst werden
können.
Schulberatung
vermag durch ihre intensive beraterische Beschäftigung mit Schülern Wirkungen
des Schulbetriebs zu erkennen, die der unterrichtenden Lehrkraft häufig
verborgen bleiben. Besser als außerschulische Berater können die schulischen
Beratungsfachkräfte den Zusammenhang auftauchender Probleme mit Merkmalen der
einzelnen Schule oder des Schulsystems aufdecken. So waren es auch
Beratungsfachkräfte, die immer wieder auf die spezifischen Probleme ausländischer
Schüler, von Schülern mit Legasthenie oder Dyskalkulie oder von Schülern mit
ADHS oder von hoch begabten Kindern in der Schule aufmerksam machten; über
Fort- und Weiterbildung tragen sie neue Erkenntnisse in die ihnen zugewiesenen
Schulen hinein und erhöhen so die Wirksamkeit von Fortbildungsmaßnahmen in der
Fläche. In der Gegenrichtung laufen Informationen über die praktischen
Auswirkungen bestimmter Maßnahmen bei den Schulberatungsstellen zusammen, die
sie auswerten und an die Entscheidungsträger weitergeben können.
Schließlich
fungiert die Schulberatung in Einzelgesprächen und in der Information größerer
Gruppen als Mittlerin zwischen den Agenten der Weiterentwicklung und denen, die
von diesen Prozessen betroffen sind. Beratung trägt so täglich zur Akzeptanz
des sich weiterentwickelnden Schulwesens bei der Bevölkerung bei und kann dort,
wo diese Akzeptanz – womöglich zu Recht – (noch) nicht besteht, Konflikten
vorbeugen oder sie entschärfen.
Kooperation
In der zehnten der zwölf „Augsburger Thesen“ zur Schulentwicklung in
Bayern ist davon die Rede, dass sich Lehrer nicht als Einzelkämpfer, sondern
als Teil eines leistungsfähigen Teams erleben sollten. Weiter wird gefordert,
benachbarte Schulen sollten stärker Verbindung miteinander aufnehmen und halten – „Vernetzung“ ist das häufig gebrauchte Schlagwort hierfür.
Für Beratungsfachkräfte gehört diese Form der Kooperation schon längst zum
Berufsalltag. Aus- und Fortbildung sowie Dienstbesprechungen der
Beratungsfachkräfte erfolgen schulartübergreifend; wo das jeweilige Thema dies
anbietet, werden in den entsprechenden Veranstaltungen kooperative
Darbietungsformen geübt. In den Landkreisen finden sich Arbeitsgruppen zur
Abstimmung von Maßnahmen, zum Erfahrungsaustausch und zur Fortbildung zusammen
– oft weit über das durch die Anrechnung auf die Unterrichtspflichtzeit vorgegebene
Maß hinaus. Mögen auch Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen Schularten
gelegentlich durchschlagen – der Grundton bei diesen Treffen bleibt das
gemeinsame Bemühen um eine Verbesserung der pädagogischen Arbeit an den Schulen.
Die Rückbindung an die Schulberatungsstelle stellt sicher, dass amtliche
Vorgaben im notwendigen Umfang beachtet oder zumindest bekannt werden.
Eine
Institution, die junge Menschen auf das Leben als Erwachsene vorbereitet – und
das Berufsleben ist zwar nur ein Teil, aber ein wichtiger Teil dieses
Erwachsenenlebens – eine solche Institution darf sich nicht selbst genug sein.
Sie muss Nervenfasern in verschiedene Bereiche hinein ausbilden –
unterschiedlich nach dem unterschiedlichen Profil und Auftrag der Schule. Dabei
spielen die „im Umfeld angesiedelten Unternehmen“ eine wichtige, aber nicht
unbedingt die erste Rolle, wie die siebte „Augsburger These“ das suggeriert.
Gerade bei allgemein bildenden Schulen ist die Verbindung mit kulturellen,
sozialen oder politischen Institutionen mindestens genauso wichtig.
Die Vernetzung der Schulberatung mit ihrem Umfeld
Die Vernetzung der Schulberatung mit ihrem
Umfeld |
Die Schulberatung
hat freilich keinen so umfassenden Auftrag. Sie beschränkt sich auf diejenigen
Einrichtungen, die mit dem schulischen und beruflichen Werdegang der Schüler zu
tun haben. Darin aber hat die Schulberatung eine lange Tradition und reiche
Erfahrung. So werden beispielsweise die Dienstbesprechungen im Bezirk
Oberfranken in diesem Jahr ausnahmslos in Wirtschaftsbetrieben der Region
durchgeführt; Fachleute aus den unterschiedlichsten Berufssparten sind immer
wieder Gäste und Referenten bei den Veranstaltungen der Schulberatung. Mit der
Studien- und Berufsberatung finden regelmäßige Treffen statt. In der aktuellen
Beratung ist eine Zusammenarbeit mit außerschulischen Beratungsstellen,
Jugendämtern, Ärzten, Kliniken, Therapeuten oder auch der Polizei bereits
selbstverständliche Routine. Die Praxis zeigt, dass die von der Schulberatung
ausgehenden Anregungen und die von ihr geknüpften Kontakte im Zuge der inneren
Schulentwicklung aufgegriffen und für die ganze Schule nutzbar gemacht werden.
Die Beratungsfachkräfte spielen dabei häufig eine wichtige Rolle als Anreger
und Vermittler.
In den ersten
Jahren der Schulberatung war es nicht leicht, die Beratung von Schule und
Lehrern als Aufgabe der Beratungslehrkräfte akzeptabel zu machen. Die
Beratungslehrkräfte hatten noch nicht den fachlichen Hintergrund, um den
Kollegen neue pädagogische Impulse zu geben und Perspektiven aufzuzeigen.
Entsprechend unscheinbar war in den Tätigkeitsberichten der Kolleginnen und
Kollegen der Anteil der Kollegenberatung. Im Schuljahr 2000/01 hatten rd. 6%
aller Beratungen ihren Schwerpunkt bei der Unterstützung von Kollegen, an den
Volksschulen sind es bereits knapp 10%. Darin ist eine Wirkung der gesteigerten
Professionalität der Beratung in den letzten 20 Jahren zu sehen; darin drückt
sich wohl auch die Tatsache aus, dass – zumindest in der Oberpfalz – über 60%
der Beratungslehrkräfte 10 Jahre oder länger in der Beratung tätig sind und so
nicht nur beträchtliche Erfahrung und Fachwissen, sondern auch Vertrauen und
Achtung in den Kollegien der zugewiesenen Schulen erwerben konnten.
Dieser Beitrag zur
Personal- und Organisationsentwicklung an den Schulen wird zum Teil in Form von
Fortbildung geleistet – vom Anteil der Beratungsfachkräfte am „Multiservice“
der Akademie war bereits die Rede -, zum größeren Teil im Zusammenhang mit der
Beratung einzelner Schüler oder von Schülergruppen und Klassen. Der Vorteil
dieses Weges ist ein doppelter:
Einerseits ist wegen eines konkreten Problems bei den Lehrkräften häufig eine
starke Motivation vorhanden, Informationen aufzunehmen, Vorschläge aufzugreifen
und neue Methoden zu erproben, andererseits kann bei dieser Konstellation die
Beratungslehrkraft am Problem eines Schülers oder einer Klasse ansetzen und
gerät nicht in Verdacht, am pädagogischen Verhalten einer Lehrkraft Kritik üben
zu wollen.
Kollegenberatung als Element der Schulberatung setzt neue Impulse,
entschärft Konflikte, macht Mut, Lösungen zu suchen, erhöht die pädagogische
Kompetenz und entlastet die Schulaufsicht. Es ist ein nicht zu unterschätzender
Vorteil der Schulberatung, dass Hilfe von ihrer Seite keinerlei Verbindung hat
zu dienstlicher Kontrolle und Bewertung.
Bei den Bemühungen um die Weiterentwicklung des Unterrichts
spielt die Herausbildung eines reiferen Lernverhaltens eine wichtige Rolle.
„Dreh- und Angelpunkt der Schulentwicklung“ ist nach Klippert die
Unterrichtsreform, und im Zentrum dieser Unterrichtsreform steht die Eigenverantwortlichkeit
des Lernens. Die Erfahrung in der Beratung zeigt, dass trotz einer Fülle von
Veröffentlichungen über Lern- und Arbeitstechniken für Schüler das Wissen um die
Bedingungen und Gesetze des Lernens nicht nur bei Eltern und Schülern, sondern
auch bei den Lehrkräften erstaunlich wenig verbreitet ist.
Fortbildungsveranstaltungen
der Schulberatungsstelle in Lern- und Arbeitstechniken waren in der Oberpfalz
gefragte Lehrgänge in den 80er und 90er Jahren. Schulpsychologen und ein in
Dillingen zum Lerntrainer ausgebildeter Beratungslehrer vermittelten den
Beratungslehrkräften einschlägige Kenntnisse, und lange schon bevor von
Schulentwicklung die Rede war, führten Beratungsfachkräfte an den ihnen
zugewiesenen Schulen erfolgreich Kurse zu diesem Thema mit Schülern, z. T. auch
mit Eltern, durch.
Freilich waren
diese Kurse noch sehr einseitig auf die Schüler ausgerichtet, so als ob
Lernarbeit allein ihre Sache sei. In den letzten Jahren hat ein spürbarer
Wandel in der Sehweise von Lernprozessen im Unterricht stattgefunden, dem die
Schulberatungsstelle für die Oberpfalz in ihrem regionalen Weiterbildungskurs
1999/2001 in zwei Studientagen mit Dr. Eckart vom PI der Stadt Nürnberg und
Prof. Sacher (Universität Erlangen-Nürnberg) Rechnung getragen hat. Die
Mitarbeiterin für Realschulen an der Schulberatungsstelle hat sich - auch in
ihrer Eigenschaft als Seminarlehrerin für Pädagogik - zur Spezialistin in
schüleraktivierenden Unterrichtsformen fortgebildet und vermittelt ihre
Erfahrungen in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen.
Lernberatung findet
auch in der täglichen Beratungspraxis statt, wo es häufig darum geht, einerseits
Schüler zu ermuntern, die teils durch eigenes Versagen, teils durch Wechsel der
Lebensumstände entstandenen oder offenbar gewordenen Kenntnis- und Fähigkeitsdefizite
auszugleichen, andererseits die Erziehungsberechtigten zu einer angemessenen Haltung
gegenüber den Bemühungen ihrer Kinder hinzuführen. Schulberatung nimmt immer
wieder die Chance wahr, auf die humanen Wurzeln von Lernen und Bildung und
deren humanisierende Wirkung hinzuweisen.
Die Reflexion des beruflichen Handelns unter fachmännischer
Anleitung ist für den Lehrerberuf mit seinen spezifischen Bedingungen
eigentlich ein mehr als natürliches Erfordernis. Daher müsste Supervision zu
den selbstverständlichen Konstituenten der Lehrerberatung gehören. In Bayern
wurde die Supervisionsausbildung exklusiv für bestimmte Schulpsychologen durchgeführt.
Zwar gehören diese auch der Schulberatung an, doch wurde die Ausbildung in
einer die Einheit und Funktionalität der Schulberatung beeinträchtigenden Weise
ohne zwingende sachliche Gründe auf einen sich selbst definierenden
Personenkreis eingeschränkt. Voraussetzung hierfür und gleichzeitig Folge
dieses Konzepts war eine Verkürzung des Supervisionsbegriffs auf den
psychohygienischen und therapeutischen Aspekt, wodurch die Leistung der
Supervision als einer besonderen Form der Beratung und fachlichen Weiterentwicklung
verdunkelt wurde.
Dabei hat gerade die Ausbildung von Beratungslehrkräften zu
Multiplikatoren in anderen Themengebieten gezeigt, dass diese bei
entsprechender Ausbildung auch Aufgaben wahrnehmen können, die weit über die
Anforderungen des Lehrberufs hinausgehen. Die Beteiligung fähiger und
anerkannter Pädagogen an der Ausbildung wäre sicherlich ein Weg zu höherer
Akzeptanz dieses Dienstes. Gegenwärtig stellt sich die Lage so dar, dass selbst
Kollegien, die in der Schulentwicklung stark engagiert sind, Supervision nur
selten als wichtigen Schritt auf dem Weg zur besseren Schule begreifen.
Die Schulberatungsstelle der Oberpfalz hat wiederholt auf
das Supervisionsangebot hingewiesen, doch wird dieses Angebot im Gegensatz zu
anderen Fortbildungsthemen nur sehr zögerlich angenommen. Eine breitere
Wahrnehmung des Angebots ist wohl am ehesten zu erreichen, wenn auch sorgfältig
ausgesuchte Pädagogen zu Supervisoren ausgebildet und die Schulberatungsstellen
zu zentralen Organisationsstellen für Supervision an allen Schularten
weiterentwickelt werden. Es muss besser erkennbar werden, dass eine aktives,
engagiertes und um Entwicklung der Schule bemühtes Kollegium sich durch die
Nutzung von Supervision nicht als de facto therapiebedürftig erklärt.
Wurde die Schullaufbahnberatung als Königsdisziplin in der
Schulberatung bezeichnet, so ist die Gesprächsführung der Königsweg zu einer
entwickelten Schule. Die Kultur des Gesprächs bestimmt die Qualität des
Unterrichts, des Verhältnisses der Kollegen untereinander, der Beziehung der
Schulleitung zum Kollegium und der Lehrkräfte zu den Eltern. Es ist nicht zu
viel behauptet, wenn man sagt, dass alle Bemühungen um eine entwickelte Schule
ins Leere laufen und zu Aktionismus verkommen, wenn das Gespräch zwischen den
Rollenträgern in der Schule und in der Hierarchie der Schulverwaltung nicht
synchron mit entwickelt wird.
Seit der systematischen Fort- und Ausbildung der
Beratungslehrkräfte hat die Gesprächsführung im Mittelpunkt der Bemühungen der
Schulberatungsstellen gestanden. Die Aufgabe kann aber nur teilweise erfüllt
werden. Selbst eine ganze Woche in der Weiterbildung ist nur der Anfang, da die
Gesprächsführung nicht auf die Vermittlung einiger Kenntnisse oder Fertigkeiten
beschränkt werden kann, sondern beständigen Trainings und wiederholter Kontrolle
bedarf – was wiederum eine Funktion der Supervision wäre.
Was bei den Beratungslehrkräften notdürftig gelingt, nicht
zuletzt auch durch das Gordon-Gesprächstraining, das in der Oberpfalz durch eigens
geschulte Beratungsfachkräfte durchgeführt wird, ist in der ganzen Breite der
Lehrerschaft nicht einmal ansatzweise durchzuführen. Ein Mitarbeiter der
Schulberatungsstelle vermittelt den Referendaren eines Gymnasiums an zwei
Seminartagen Gesprächsführung in Grundzügen; erforderlich wäre jedoch eine intensive
Schulung, die auch, wie das bei Beratungslehrkräften relativ häufig zu
beobachten ist, bleibende Änderungen in der Einstellung zum Lehrberuf und zu
den Personen, mit denen man umzugehen hat, bewirkt.
So ist die Gesprächsführung zwar ein Ziel der Schul-,
Organisations- und Personalentwicklung, zu dem die Schulberatung zwar seit
vielen Jahren die Spur legt und den Weg bahnt; doch der Ausbau zu einer breiten
Straße, auf der sich das Gefährt der Schulentwicklung sicherer bewegen kann,
ist hier nicht in Sicht.