Aus dem Tätigkeitsbericht 2003 der neun
staatlichen Schulberatungsstellen Bayerns:
Heinz Schlegel
Schulberatung
als externe Unterstützung innerer Schulentwicklung
Erste Ansätze, extern Schulen zu unterstützen, konnten schon beim
Augsburger Schulkongress am 11. und 12. April 2000 erkundet werden. Wer nicht
dabei sein konnte, kann sich mit der URL: www.bildungsoffensive-bayern.de. auch
über Links, Daten, Berichte und Thesen zum o. g. Schulkongress informieren.
Während den meisten Schulen noch kein professionelles
Unterstützungssystem zur Verfügung stand, das sie nutzten, könnte für die
Schulen, die sich „nach Augsburg“ auf den Weg machen, vieles leichter werden:
Bei den Ministerialbeauftragten und Bezirksregierungen werden nunmehr über die
Schulentwicklungskoordinatoren für die jeweilige Schulart und durch
schulartübergreifende Schulentwicklungsberater die Beratungs- und
Unterstützungsmöglichkeiten geschaffen, die den Schulen auf Abruf zur Seite
stehen, also sie in ihrem Entwicklungsprozess begleiten.
Im Bereich der Wirtschaft, aber auch in der Verwaltung werden
Innovationen immer häufiger durch externe Organisationsberater unterstützt.
Diese stellen Ihr Know-how zur Verfügung mit dem Ziel, einen systematischen und
zielgerichteten Veränderungsprozess zu gestalten. Genau darum geht es jetzt
auch bei der Unterstützung von Schulen in ihrer inneren Schulreform. Der
vorliegende Beitrag will darüber informieren, wie systematische und
selbstgesteuerte Entwicklungsprozesse in Schulen gelingen und auf welche Bereiche
sich die Veränderungen beziehen können. Auf dieser Grundlage soll reflektiert
werden, was externe Organisationsberatung leisten und wie sie den
Entwicklungsprozess unterstützen kann, welche Qualifikationen externe Berater
benötigen und wie ein systematisches Unterstützungssystem aufgebaut werden
kann.
Entwicklungsprozesse
in Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie
· betriebsumfassend
sind, also alle Mitglieder der Organisation einschließen,
· mit den
Bedürfnissen der Beteiligten und der Organisation vereinbar sind,
· selbstregulierend
und an innere Gegebenheiten angepasst sind,
· planmäßig
und strukturiert sind,
· gemeinsame
Lernprozesse aller Beteiligter darstellen,
· eine
ständige Anpassung an eine sich wandelnde Umwelt ermöglichen,
· langfristig
angelegt sind,
· eine
Veränderung von Einstellungen und Werten beinhalten,
· einen
sozialen und kulturellen Wandel darstellen,
· die
Leistungsfähigkeit der Organisation verbessern.
(nach Fengler, 1999)
Dies gilt selbstverständlich auch für die Weiterentwicklung der inneren
Schulqualität: Möglichst alle Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus auch
Schüler, Schülerinnen und Eltern, schließlich auch das schulische Umfeld
sollten in den Entwicklungsprozess aktiv einbezogen sein, wobei der Beginn
innerer Schulentwicklung meist im Kollegium der Schule beginnt.
Wichtigste Eingangsbedingung ist die sozialpsychologische Bereitschaft
der Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen, sich für den Wandel zu interessieren
und dabei aktiv mitzuwirken (readiness), nicht selten ausgelöst durch den
Leidensdruck, der von aktuellen Bedingungen ausgeht.
Weitere wichtige Faktoren sind die ziel- und
mitarbeiterorientierte Führungsstil der Schulleitung, die selbst eine Vision
„guter Schule“ hat, aber auch offen sein muss für die Vorstellungen und Wege
der Kolleginnen und Kollegen. Ebenso wichtig erscheint die Unterstützung von
Veränderungsbemühungen durch die Schulaufsicht, das Eröffnen von Spielräumen,
die Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen und die Bereitstellung von Hilfen
bei Bedarf.
Schulentwicklungsprojekte haben eine Dynamik, die mit der Fahrt auf
einer Serpentinenstraße auf einen Berg verglichen werden kann:
(vgl.
Pieper,A., Schley,W.: Systembezogene Beratung in der Schule. Materialien aus
der Beratungsstelle für soziales Lernen am Fachbereich Psychologie der UNI
Hamburg, Band 6)
„Veränderung sozialer Systeme
setzt Interventionen von außerhalb oder innerhalb des Systems voraus“ (König/Vollmer:
Systemische Organisationsberatung, 1996, S. 45).
· Berater-
und Klientensystem sind deutlich voneinander unterschieden (Unabhängigkeit);
· Das
Klientensystem hat Probleme und/oder sucht Lösungen, die es alleine nicht oder
schlechter finden kann;
· Die
Klienten erwarten, bei der Problemlösung vom Berater unterstützt zu werden;
· Berater
haben weder eigene Interessen an den Veränderungen, noch sind sie Entscheider,
sondern sie orientieren sich ausschließlich an den Bedürfnissen des Klientensystems;
· Sie geben
– je nach Situation – Anregungen, Hilfestellung, Unterstützung mit dem Ziel,
dass das Klientensystem sein Problem selbst lösen kann.
(König/Vollmer, 1996, S. 46)
Ausgangspunkt für eine Beratung von außen ist somit immer eine Anfrage
der Schule an externe Berater und nicht umgekehrt. Auch über die Beendigung
einer Beratung muss das Klientensystem frei und ohne negative Konsequenzen
entscheiden können. Wichtig ist dabei eine möglichst große Wahlfreiheit in
Bezug auf den oder die potentiellen Berater, ihre Persönlichkeit, Profession
und spezifische Fachkompetenz.
Somit gelten auch für die Organisationsberatung die
Grundsätze jeder professionellen Beratung:
Die Tätigkeit externer Berater orientiert sich an den
Wünschen und Bedürfnissen des Klientensystems und kann sehr punktuell sein,
sich also z. B. auf die Vermittlung von Hinweisen und Ideen, auf die Moderation
einer pädagogischen Konferenz oder auf die Beratung des Schulleiters
beschränken, sie kann aber auch über einen längeren Zeitraum hinweg erwünscht
und notwendig sein.
Bei längerfristiger Arbeit mit einer Schule haben die
externen Berater vielfältige professionelle Aufgaben, und zwar
· Schaffen
von Akzeptanz und Herstellen eines Vertrauensverhältnisses mit dem Klientensystem
· Klärung
der Erwartungen des Klientensystems
· Klärung
der Rollen von Beratern und Klienten, ggf. Bildung einer Steuergruppe
· Einigung
auf die Regeln der Zusammenarbeit
· Aushandeln
eines Beratungskontraktes mit allen Beteiligten: Festlegen konkreter
erreichbarer Ziele, Kriterien für das Erreichen dieser Ziele und für den Erfolg
und Abschluss des Beratungsprozesses
· Feststellung
der Bedürfnisse des gesamten Kollegiums und Orientierung der Beratungsarbeit
ausschließlich an den vereinbarten Zielen.
· Aktive
Beteiligung aller Kolleginnen und Kollegen am Veränderungsprozess
· Arbeit mit
den Energien und Ressourcen des Klientensystems und nie dagegen
· Moderation
von Veranstaltungen zur Schulentwicklung mit vielfältigen Zielsetzungen
· Information
über wichtige Sachinhalte und Vorschläge zur Vorgehensweise
· Ständige
Überprüfung des Kontraktes und ggf. Modifizierung, wenn sich aus dem Prozess
neue Bedürfnisse und Zielsetzungen ergeben
· Unterstützung
der Teamentwicklung und Konfliktmanagement
· Fortbildung
des Kollegiums im Bereich der Unterrichtsentwicklung
· Coaching
der Schulleitung bzw. der Steuergruppe
· Angebote
zur Supervision und zum Training (z.B. in Kommunikation)
· Rückmeldung
von Gruppenprozessen, Ermöglichen von Feedback
· Zusammenarbeit
mit der zuständigen Schulaufsicht.
Um diese vielfältigen, an den Bedürfnissen des
Klientensystems und am Veränderungsprozess orientierten Aufgaben leisten zu
können, benötigen die externen Berater Fähigkeiten personaler, sozialer,
inhaltlicher und methodischer Art.
· Klarheit
in der Beraterrolle
· Differenzierte
Selbst- und Fremdwahrnehmung (auch: Kenntnis blinder Flecke)
· Fähigkeit
zur Wahrnehmung von Gruppenprozessen
· Bewusstheit
eigenen Handelns (auch eigener Grenzen)
· Menschenbild
und beraterische Grundhaltungen (Kongruenz, Empathie, Akzeptanz)
· Bereitschaft
zur eigenen Supervision und Weiterentwicklung
· Fähigkeit
zur Kooperation und Moderation im Team
· Gesprächsführungskompetenz
(partner-, problem- und lösungsorientiert)
· Leitungskompetenz
(auch in Konflikt- und Krisensituationen)
· Fähigkeit
zur Steuerung von Gruppenprozessen, zur Metakommunikation
· Fähigkeit,
eigene Betroffenheit und Grenzen zu verbalisieren
· respektvolle
und konstruktive Kommunikation mit allen Klienten (auch mit solchen, die gegen
den Strom schwimmen)
· Handlungsrepertoire
zum Umgang mit schwierigen Kommunikationssituationen
· Möglichst
langjährige praktische Erfahren im Bereich der Beratung
· Theoretische
Fundierung als Grundlage allen Handelns
· Kompetenz
im Bereich neuer Unterrichtskonzepte (Handlungskompetenz)
· Kenntnisse
von Trainingsmodellen zur Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz
etc.
· Kenntnis
von Diagnoseinstrumenten, Interventionsstrategien und Evaluationsmöglichkeiten
· Handlungskompetenz
in neuen Unterrichtsverfahren (z. B. offene Unterrichtsformen, Lernen durch
Lehren, eigenverantwortliches Lernen, Projektarbeit, handlungsorientiertes
Lernen)
· Kompetenz
in individuellen und differenzierten Fördermöglichkeiten
· Verfügen
über Grundlagen und Techniken der Moderation (Handlungskompetenz)
· Trainingskompetenz
(z. B. zur Sozialkompetenz, Gesprächsführung, Konfliktmanagement)
· Verfügen
über Strategien und Methoden der Gruppensteuerung, Konfliktbearbeitung und Steuerung
von Organisationsentwicklungsprozessen
· Supervisorische
Kompetenz (Supervision und Coaching von Führungskräften).
Da Berater sehr unterschiedliche Kompetenzprofile (Stärken
und Schwächen) haben und die (Weiter-)Entwicklung der Kompetenzen eine individuelle
und permanente Aufgabe und Herausforderung darstellt, ist es wichtig, in einem
Beraterteam möglichst viele verschiedenartige Kompetenzen zu bündeln.
Bei der Schaffung eines Unterstützungssystems erscheint es
im Hinblick auf den langfristigen Erfolg wichtig, eine gezielte Vorauswahl nach
folgenden Kriterien zu treffen:
® Vielfalt
an unterschiedlichsten Professionen im Beraterteam
® möglichst
hohe bereits vorhandene personale und kommunikative Kompetenz
® hohe
Motivation für die Beratertätigkeit
® bereits
Erfahrungen und Erfolg in der kurz- und längerfristigen Beratung und Begleitung
von Schulen
® möglichst weitgehende Vorbildung für diese Aufgaben
(Beratungslehrkräfte, Schulpsychologen, Supervisoren, Moderatoren, Mediatoren,
ausgebildete Organisationsberater, TZI-Diplomierte, Lehrkräfte mit
Gruppenleiterausbildung, Therapieausbildungen, Weiterbildung z.B. im Bereich
der Lehrerbildung, innovativer Unterrichtsformen, Konstanzer Trainingsmodell
...)
® Offenheit
für persönliche Weiterbildung auf allen vier Kompetenzfeldern
Die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung hat im Laufe der
letzten Jahre eine Vielzahl von Fachleuten für die Unterstützung der Schulen
aus- und fortgebildet (siehe „Multi-Service“ im Fortbildungsprogramm der
Akademie)
Erfahrungen des Schulversuchs „Interne Schulentwicklung
durch externe Beratung (ISEB)“ im Förderschulbereich zeigen deutlich, welch
vielfältige und oft nicht vorhersehbare Anforderungen an externe Berater
gestellt werden und wie wichtig eine Beratung im Tandem ist, in dem sich
Kompetenzen ergänzen, Rollen verteilen und Handlungsmöglichkeiten optimieren.
Ebenso hilfreich erscheint in diesem Versuch auch die Teamstruktur der externen
Berater, die es ermöglicht, von einander zu lernen.
Empfehlenswert
ist daher
® die
Schaffung offener multiprofessioneller Teamstrukturen, die eine flexible,
situationsabhängige Bildung von Tandems zulassen
® die
längerfristige Bildung von Beratertandems, die menschlich zusammenpassen und
die sich ergänzen
® eine
möglichst schulartübergreifende Zusammenarbeit
® flexible,
an aktuellen Bedürfnissen orientierte Kooperationsformen der Berater.
Die Berater benötigen – wie
bereits angesprochen – gegenseitigen Austausch und Unterstützung, eigene
Supervision und weitergehende Fortbildungsangebote, um die eigenen Erfahrungen
zu verarbeiten und sich zu entlasten, das professionelle Handeln zu optimieren
und um die eigenen Spielräume zu erweitern.
Dies kann
geschehen durch
® regelmäßige
kollegiale Supervision in kleinen Teams (Intervision)
® berufsbegleitende
Veranstaltungen zur Weiterbildung und zum schulartübergreifenden
Erfahrungsaustausch
® Coaching
für coaches (professionelle Supervisionsangebote)
® möglichst
vielfältige Vernetzung (auch mit der Hochschule)
Das Unterstützungssystem kann auch dazu dienen, die Arbeit der externen Berater zu evaluieren. Dies trägt zur Qualitätssicherung der Organisationsberatung bei, was wiederum für das Klientensystem hilfreich sein kann.
Externe Organisationsberatung benötigt klare, verlässliche und förderliche Rahmenbedingungen. Dies ermöglicht eine adressatengerechte Tätigkeit, dient der Optimierung der Beratertätigkeit und stellt nicht zuletzt eine für die Berater wichtige Form der Wertschätzung ihres Einsatzes dar. Folgendes Schema macht die Beziehung zwischen Qualität, Zeit und Kosten deutlich (vgl. Wittmann, 1999):
Qualität
Ressourcen Zeitbedarf
Das Schema macht deutlich, dass externe Beratung bei niedrigem Aufwand
an finanziellen und personellen Ressourcen zu höherem Zeitbedarf oder zur
Verminderung der Qualität der Beratungsleistung führt, was jedoch langfristig
wiederum höhere Kosten produzieren könnte.
Deshalb ist es notwendig, folgende Rahmenbedingungen zu schaffen:
® Gesicherter
Tätigkeitsrahmen (ausreichende Zeitressourcen für die Beratertätigkeit)
® Klarheit
über Entlastungen und Honorierung der Tätigkeit
® Klarheit
über die Zeitdauer der Mitarbeit im Schulentwicklungsteam
® Institutionalisierung
kollegialer Besprechungen, Supervision und Fortbildung.
Erfahrungen von Schulen, die Beratung in Anspruch genommen haben und
nehmen, zeigen, dass ein extern unterstützter Entwicklungsprozess zu einer
längerfristigen Entlastung der einzelnen Lehrkraft, zur Befreiung aus einer
depressiven und von Überlastung geprägten Grundstimmung des Kollegiums und zum
Wiedergewinnen pädagogischer Ziele und Wertvorstellungen führen kann, bis hin
zur Gewinnung eines neuen und attraktiven Images in ihrem gesamten Umfeld.
Die Erfahrungen zeigen aber auch, dass Schulen, die sich auf den Weg der
Veränderung gemacht haben, Hoffnung geschöpft und Visionen entwickelt haben,
nach einer externen Moderation in der Anfangsphase jedoch auf sich allein
gestellt waren, teilweise wieder in den alten, unbefriedigenden „Trott“
zurückkehrten und seitdem für Schulentwicklung nachhaltig nicht mehr zu
gewinnen sind.
Es ist zu wünschen, dass der Aufbau eines professionellen
Unterstützungssystems die innere Schulreform in Bayern über alle Schularten
hinweg voranbringen kann, damit Schulen dem künftigen, immer schnelleren Wandel
gewachsen sind, Schüler und Lehrer befriedigende und neue Formen des Lernens
und Zusammenlebens entwickeln können und Schule an Leistungsfähigkeit und Image
gewinnt. Letztlich dient dies dazu, junge Menschen in unseren Schulen für die
immer komplexer und anspruchsvoller werdenden Lebens- und Arbeitsbedingungen
stark zu machen.