Intelligenztests regelmäßig nur mit Einwilligung der Erziehungsberechtigten

KMS IV/9 - S 8641 - 4 /133 103 vom 10.01.2003

Zulässigkeitsvoraussetzungen für Tests bei Kindern zur Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs '

Sehr geehrter Herr ...,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage vom November 2002 zur Zulässigkeit von Tests, mit denen der sonderpädagogische Förderbedarf bei Kindern festgestellt werden soll.

Unproblematisch und unstreitig zulässig sind Schulleistungserhebungen wie z. B. Proben, Unterrichtsbeobachtungen und Fachleistungstests, denn sie berühren nur die "Oberfläche" des Kindes. Sie sind ohne oder gegen den Willen der Erziehungsberechtigten zulässig. Gleiches gilt für Schulreifetests, die bei Kindern vor der Einschulung durchgeführt werden.

Demgegenüber sind Persönlichkeitstests wie z.B. ein Kleckstest als Erkenntnismittel abzulehnen. Sie könnten Daten aus dem höchstpersönlichen Bereich, aus der ureigensten, von Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Privatsphäre des Kindes und seiner Familie liefern, die zum einen für die schulische Beurteilung nicht relevant sind und zum anderen "heimlich" bzw. indirekt aus den Antworten des Kindes zu vermeintlich harmlosen Fragen gewonnen würden. Wenn Erziehungsberechtigte nicht von sich aus Privates preisgeben, dürfen solche Erkenntnisse auch nicht über den "Umweg Kind austesten" gewonnen werden. Insoweit teilt das Staatsministerium für Unterricht und Kultus die von Herrn Professor Leissner, Universität Erlangen, in seinem in den achtziger Jahren erstellten Gutachten, das in dem von Ihnen beigefügten E-mail von Herrn Honal (Leiter der Staatlichen Schulberatung Oberbayern West) zitiert wird.

Anderes gilt - entgegen der von Herrn Prof. Leissner in seinem Gutachten geltend gemachten Bedenken - für Intelligenztests, die in der Praxis vor allem auch zur Feststellung von Teilleistungsstörungen wie z.B. Lese- Rechtschreib-Schwäche, Legasthenie, Dyskalkulie etc. durchgeführt werden. Diese erachtet das Staatsministerium für Unterricht und Kultus für zulässig.

In der Rechtsprechung werden solche Intelligenztests ebenfalls für zulässig erachtet. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Januar 1981 zur Verwertung eines psychologischen Tests in einem Offizier-Auswahlverfahren ausgeführt, dass psychologische Testverfahren, die bei Vorliegen eines sachlich begründeten Anlass in objektiver Weise auf den von vorgesehenen Verwendungszweck abstellen und die allgemeine geistige Leistungsfähigkeit eines Bewerbers, insbesondere seine intellektuellen Fähigkeiten, unter Anwendung wissenschaftlich anerkannter Verfahren aufhellen sollen, nicht in die ureigene Intimsphäre des Menschen eindringen und nicht der Erforschung und der rechts erheblichen Verwertung des Unbewussten des Menschen dienen.

Diese Entscheidung ist auch auf den schulischen Bereich, insbesondere auf die Notwendigkeit der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs eines Kindes und seines individuellen richtigen Förderortes übertragbar. Die Durchführung eines Intelligenztests bedarf einer Rechtfertigung, d.h. sie darf nur aus schulischen Gründen erfolgen. Im Betracht kommen ausschließlich anerkannte Testverfahren. Die Tests dürfen nur von dafür qualifizierten Personen durchgeführt werden, d.h. im Förderschulbereich und bei der Entscheidung "Förderschule oder allgemeine Schule" nur von Sonderschullehrern, die an einer Förderschule tätig sind (so auch Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 13. Dezember 1994).

Die Frage, ob der Betroffene seine Einwilligung zur Durchführung eines Tests geben muss, wurde vom Bundesverwaltungsgericht - im Hinblick auf die im konkreten Fall vorliegende Einwilligung - nicht eindeutig geklärt. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat sich ebenfalls nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert, allerdings hat er gegen die nach dem baden-württembergischen Schulgesetz bestehende Pflicht von Kindern und Jugendlichen auf Verlangen der Schulaufsichtsbehörde "an einer pädagogisch-psychologischen Prüfung (Schuleignungsprüfung bzw. Schulleistungsprüfung und Intelligenztest)" zu beteiligen, um im Einzelfall zu entscheiden, ob eine Sonderschule besucht werden muss und welcher Typ der Sonderschule geeignet ist, keine Bedenken erhoben.

Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus ist - unabhängig von der rechtlichen Beurteilung - im Hinblick auf den doch sehr sensiblen Bereich, der von den Intelligenztests berührt wird, und dem Wunsch nach einem guten Miteinander von Eltern und Schule der Auffassung, dass solche Intelligenztests regelmäßig nur mit Einwilligung der Erziehungsberechtigten stattfinden sollten. Bei Kindern, die bereits eine Schule besuchen, kann bei fehlender Zustimmung der Erziehungsberechtigten zu einem Intelligenztest der sonderpädagogische Förderbedarf regelmäßig im Wege des Gesprächs mit Schülern und Eltern, durch Heranziehen von Proben, Unterrichts- und Leistungsbeobachtungen sowie von Fachleistungstests festgestellt werden. Bei Kindern, deren Einschulung noch bevorsteht, wird sich die Feststellung des sonderpädagogische Förderbedarfs bei fehlender Zustimmung der Erziehungsberechtigten zu einem Intelligenztest regelmäßig auf Gespräche mit dem Kind und seinen Eltern und auf den Schulreifetest beschränken. Ferner besteht auch die Möglichkeit des Probeunterrichts an einer Förderschule (§ 4 Abs. 8 VSO).

Zusammenfassend gilt daher: Schulleistungserhebungen und Leistungsbeobachtungen sowie Schulreifetests sind stets zulässig. Intelligenztests sind zulässig, sofern sie aus schulischen Gründen erfolgen, anerkannte Testverfahren zur Anwendung kommen und die Tests von qualifizierten Personen durchgeführt werden (im Förderschulbereich und bei der Entscheidung "Förderschule oder allgemeine Schule" nur von Sonderschullehrern, die an einer Förderschule tätig sind). Sie sollen nur durchgeführt werden, wenn die Erziehungsberechtigten zustimmen. Persönlichkeitstests sind unzulässig und daher nicht durchzuführen.

Bitte informieren Sie die in ihrem Regierungsbezirk liegenden Schulen. Eine Abschrift dieses Schreibens wird an die anderen Regierungen weitergeleitet.

Mit freundlichen Grüßen

Graf
Ministerialrat

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